"Wichtig ist mir, dass ich ein gesundes Berufsleben führe."

Lissy Malethan studiert seit Herbst 2023 Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Im „BGW young“-Interview spricht die 23-Jährige über ihre Ausbildung, wie sie sich ihr zukünftiges Arbeitsleben vorstellt und was für sie Gesundheit im Berufsalltag bedeutet.

Porträt von Lissy Malethan: junge Frau mit Brille und lockigem dunklen Haar. Sie schaut lächelnd in die Kamera.

Lissy Malethan, 23, studiert in Hamburg Medizin.

Was gefällt dir an deinem Studium? 

Lissy Malethan: Das Studium ist gut strukturiert und organisiert. Wir haben einen hohen Praxisanteil und werden sehr früh mit dem Beruf konfrontiert. Das mag ich sehr gern. Wir sind mit dem UKE direkt an der Quelle und werden viel von Ärztinnen und Ärzten aus der Klinik unterrichtet. Natürlich ist es auch anstrengend, aber sehr spannend, weil wir einiges über den Alltag in der Klinik erfahren. 

Warum hast du dich für Medizin entschieden?

Ich habe 2019 Abi gemacht. Die Zeit danach habe ich genutzt, um mich zu orientieren. Ich habe Praktika und ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) gemacht und gearbeitet. Während meines FSJs in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie bin ich richtig gern aufgestanden und zur Arbeit gegangen. Es hat mir einfach nur Spaß gemacht. Medizin war immer in meinem Kopf, aber dass es das Richtige für mich ist, wusste ich erst nach dem FSJ.

Was ist deine Motivation für einen medizinischen Beruf?

Menschen zu helfen und dazu wirklich fähig zu sein: Diese Aneignung von Wissen, nur mit dem Ziel, Menschen zu helfen, das motiviert mich. Außerdem die Arbeit mit vielen verschiedenen Menschen und die Erweiterung des eigenen Horizonts dadurch. Dass es jeden Tag eine neue Herausforderung gibt, man nicht alles planen kann, das finde ich spannend. Ich hatte auch einfach Lust auf das Studium und viel zu lernen.

Wie stellst du dir deine berufliche Zukunft vor?

Das weiß ich noch nicht so richtig. Ich kann mir vieles vorstellen. Ich habe unter anderem Lust, mich bei „Ärzte ohne Grenzen“ zu engagieren oder als Ärztin bei der Sea-Watch mitzufahren. 

Wichtig ist mir, dass ich ein gesundes Berufsleben führe. Wir hatten am Anfang viele Berufsfelderkundungen, also Einblicke in verschiedene Berufe, Stationen und Einrichtungen. Da habe ich gesehen, dass es auf jeden Fall funktioniert, Beruf und Privates zu vereinbaren. Ich arbeite gern viel und weiß auch, dass es später so sein wird, aber ich will mich nicht kaputt machen.

Wir können nur wirklich helfen, wenn wir die Person uns gegenüber wirklich verstehen.

Lissy Malethan
Medizinstudentin

Erzähle uns doch ein bisschen, was in deiner Branche wichtig ist. Mit welchen Menschen, Themen, Aufgaben hast du zu tun?

Ich finde besonders die emotionale und soziale Seite im Medizinberuf wichtig, die mir noch etwas zu kurz kommt. In den ersten Semestern haben wir gelernt, dass Menschen, die ärmer sind, sehr viel früher sterben: Je mehr Geld man hat, desto länger lebt man. Das heißt, dass die Menschen, die weniger Ressourcen haben, mehr Hilfe brauchen. Der überwiegende Teil der Studierenden in der Medizin kommt allerdings aus einer privilegierteren Schicht mit mehr Ressourcen. Als Ärztin oder Arzt diese Diskrepanz zwischen Patientinnen und Patienten und sich selbst zu überwinden ist sehr wichtig, aber auch sehr schwierig.

Aufgrund dieser Unterschiede können viele Patientinnen und Patienten von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt nicht verstanden werden. Wir können allerdings nur wirklich helfen, wenn wir die Person uns gegenüber wirklich verstehen. Die Patientinnen und Patienten zu verstehen, ist mir deshalb enorm wichtig. Ich habe schon selbst beim Arzt die Erfahrung gemacht, nicht verstanden zu werden. Sodass ich mich nicht getraut habe, etwas zu sagen oder Fragen zu stellen. Das muss man aber verhindern, denn nur so keine eine gute Behandlung gelingen.

Im Studium merke ich auch, dass einigen das Verständnis für diese unterschiedlichen Situationen fehlt. Den Perspektivwechsel hinzukriegen, ist schwierig. Viel wird dazu nicht gelehrt, obwohl wir auch etwas medizinische Soziologie hatten. Ich habe das Gefühl, dass solch wichtige Themen untergehen, weil sie fachlich nicht so relevant sind. Vielleicht gibt es im Laufe des Studiums dazu noch Lehre, das weiß ich nicht genau. Natürlich gibt es auch die Pflegepraktika und Famulaturen, um uns so etwas näherzubringen.

Blick in einen Flur, durch den Türiengang fotogrfaiert: Lissy Malethan eine junge Frau kniet auf dem Boden gegenüber eines liegenden großen Hundes. Sie hört den Hund mit einem Stethoskop ab.

Das erste Mal mit dem eigenen Stethoskop: Da wird auch der Hund abgehört. 

Was macht dir an deinem Studium besonders viel Spaß?

Der praktische Unterricht und die praktischen Sachen. Dazu gehören unter anderem der Unterricht mit den Ärztinnen und Ärzten und auch die Pflegepraktika. Die sind zwar auch anstrengend, weil es 40 Stunden unbezahlte Arbeit pro Woche in den Semesterferien sind. Aber ich finde sie trotzdem cool und sie geben einen guten praktischen Einblick. 

Welchen Herausforderungen bist du schon begegnet?

Im Studium müssen wir einfach viel lernen. Ich bin eigentlich sehr stressresistent. Aber manchmal kommt das Gefühl auf, dass man es nicht schafft oder man würde nicht ausreichen. Dieser Selbstzweifel ist schon viel vorhanden. Damit umzugehen ist schwierig, aber ich glaube, das pendelt sich schon ein.

Praktische Erfahrungen habe ich bisher nur in der Psychiatrie gesammelt, im Pflegepraktikum im Suchtbereich und im FSJ in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Da ist es sehr wichtig, wie man mit den Leuten und über sie spricht. Das zu lernen, besonders mit 19 im FSJ, war auf jeden Fall eine Herausforderung. Ich musste lernen, ohne Wertung, ohne persönliche Einflüsse über Menschen zu reden und Dinge nicht persönlich auf mich zu beziehen. Einfach eine andere, wertfreie Art, Dinge zu betrachten. Das zu lernen hat mich weitergebracht, auch im Privaten. Da merkt man erst, wie wertend oft über Menschen gesprochen wird.

Hierarchien und sich in solchen Dynamiken einzufinden, besonders als unbezahlte Person, ist oft nicht leicht. Diese hierarchischen Strukturen werden aber auch weniger. Heutzutage wird im Team mehr miteinander gearbeitet und weniger befohlen. Es gibt einen Generationswechsel. Viele, die jetzt anfangen, haben auf solche Strukturen und 80 Stunden die Woche zu arbeiten keine Lust mehr. Das sorgt natürlich für einen Umbruch in solchen Strukturen, auch im Krankenhaus.

Du hast vorhin über Selbstzweifel gesprochen, die im Studium oft aufkommen. Hast du Strategien dagegen?

Ich sage mir: „Ich packe das schon, denn die letzten Male hat es auch geklappt. Sogar besser als erwartet“. Was ist, wenn ich es doch nicht schaffe? Ganz ehrlich: Dann passiert gar nichts. Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Mir selbst kann nichts passieren. Dann geht es meistens schnell wieder. 

Außerdem: Pausen machen. Denn wenn man keine Pause macht, kann man nicht ordentlich lernen. Zwischendurch belohne ich mich auch mal mit einem Eis oder so. Mit anderen zu reden, die studieren, hilft. Die drehen wahrscheinlich ebenfalls durch, aber dann dreht man halt zusammen durch. Man ist nicht allein.

Wobei wünscht du dir noch mehr Unterstützung?

Ich fände es gut, wenn den sozialen Aspekten mehr Raum gegeben wird. Generell mehr versucht wird, sich in andere hineinzuversetzen, und mehr über Menschen gelernt wird. Aktuell haben wir vor allem fachliche und wenig soziale Themen.

Bei uns im Studiengang gibt es allgemein einige gute Hilfestrategien und -strukturen. Viele aus den höheren Semestern unterstützen uns und es gibt weitere Mentorinnen und Mentoren aus verschiedenen Bereichen: ausgebildete Ärztinnen und Ärzte, Psychologinnen und Psychologen und Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft. 

Was ist dir in Hinblick auf deine eigene Gesundheit wichtig?

Mir geht es besonders um die psychische Gesundheit. Es ist wichtig, seine Grenzen zu kennen. Und Sachen nicht zu machen, die man sich nicht zutraut oder mit denen man sich nicht wohlfühlt. Frühzeitig zu merken, wenn es nicht mehr geht und dann eine Pause zu machen. Und sich nicht schlecht dafür zu fühlen, dass man nicht mehr kann. Dieses schlechte Gewissen abzulegen, ist mir ganz wichtig und ein Bewusstsein dafür zu haben, dass es relevant ist, Pausen zu machen. Dazu gehört, mit vielen Menschen in Kontakt zu sein und möglichst viele Menschen in meinem sozialen Kreis zu haben. Sich auch genug Zeit zu nehmen, um Freizeit zu haben, Sport und Urlaub zu machen.

Was fällt dir zum Thema Gesundheit im Berufsleben, am Arbeitsplatz ein?

Bei der Supervision dabei zu sein, mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen und sich im Team auszutauschen, finde ich wichtig. Es sollte auch Raum geben, um Gefühle und Gedanken zuzulassen und auszusprechen. Natürlich müssen Professionalität und Emotionalität getrennt werden, aber für beides sollte Platz sein.

Ein weiteres wichtiges Thema ist Teambuilding: Wenn das Team nicht funktioniert, dann funktioniert gar nichts. Egal, in welche Branche man schaut. Deshalb muss das Team gefördert und die Situation in der Gruppe aktiv angesprochen werden. Ich fände es auch nicht schlecht, wenn es in Krankenhäusern mehr therapeutische Angebote für die Angestellten gäbe. Jeder dort sollte eigentlich eine Therapie machen, um mit den eigenen Gefühlen und Situationen im Arbeitsalltag umzugehen. 

Im Medizinbereich ist es besonders wichtig, sich nicht zu überarbeiten und zu überschätzen. Am Ende schadest du damit nämlich nicht nur dir selbst, sondern auch den Patientinnen und Patienten. Deshalb ist der Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit, Anspannung und Entspannung so wichtig. 

Mir hilft es immer, mit anderen zu reden, nach außen und in andere Berufsfelder zu blicken und so aus der Medizinblase herauszukommen.

Lissy Malethan
Medizinstudentin

Was bedeutet für dich ein gesunder und sicherer Arbeitsplatz?

Auf jeden Fall ein Arbeitsplatz, an dem man sich wohlfühlt, Kritik zu äußern. Wo das auch gesehen und ernst genommen wird: „Du hast etwas, das du gern ändern würdest. Wir schauen, ob und wie wir das angehen“. Man sollte als Person und Individuum wertgeschätzt werden, vom Team und vom Arbeitgeber. Außerdem gehören gesunde Arbeitszeiten und gute Bezahlung für mich auch zu einem gesunden Arbeitsplatz.

Wurde bei dir in der Ausbildung das Thema „Gesundheit am Arbeitsplatz“ schon thematisiert?

Im Zusammenhang mit Hygiene zum Beispiel, da geht es dann um Desinfektionen, Hautschutz und Schutz vor Ansteckungen für sich und andere. Bei uns gibt es viele Lehrende, die Wert darauflegen, dass wir gesund bleiben. Zu Beginn des Studiums hatten wir eine Einführung zum Thema Stress und es gibt dazu auch Kurse für Studierende. In Bezug auf das Berufsleben hatten wir so etwas noch nicht, ich kann mir aber gut vorstellen, dass das noch kommt. Für das UKE ist das Thema wichtig und meiner Meinung nach sind sie in dem Bereich auch schon weit.

Was ist dein Tipp für andere Auszubildende und Menschen im Berufseinstieg, um im Beruf gesund zu bleiben?

Mir hilft es immer, mit anderen zu reden, nach außen und in andere Berufsfelder zu blicken und so aus der Medizinblase herauszukommen. Wie machen andere das? Was ist normal?

Wichtig finde ich auch, die Freizeit zu planen. Sich also auch einen Tag Pause, eine Freizeitaktivität oder Self-Care einzuplanen und sich vor allem bewusst freizunehmen: den Kopf abschalten, Pause machen, um auch tatsächlich freizuhaben.